Hamstern und Schwarzmarkt
Mit den Kommunalwahlen am 15. September 1946 war die Zeit der französischen Militärregierung beendet.
Das Leben im Dorf war trotzdem noch nicht wieder „normal“. Viele Fremde lebten immer noch hier, weil die Wohnungssituation in den zerbombten Städten die Rückkehr noch nicht erlaubte oder die Flüchtlinge aus Ostpreußen und den anderen ehemaligen deutschen Ostgebieten ihre Heimat für immer verloren hatten. Die Familien aus dem Osten blieben lange, einige fanden hier eine neue Heimat (z.B. Familie Schwikowski und Familie Klein).
Das Geld war nichts mehr wert, zu kaufen gab es in den Geschäften nichts. Der Tauschhandel blühte. Alles, was die Leute im Dorf brauchten, wurde „gehamstert“, d. h. gegen Lebensmittel eingetauscht. Täglich kamen hungrige Menschen aus den Städten, aus der Pfalz, dem Saargebiet, vom Rhein, die Dinge aus ihren Haushalten, Wäsche und Kleidungsstücke, die sie über den Krieg gerettet hatten, gegen Lebensmittel wie Mehl, Speck, Butter usw. eintauschten. Täglich sah man Ährensammler auf den abgeernteten Getreidefeldern. Manche junge Menschen arbeiteten auch in der Kartoffelernte bei den Bauern im Dorf, und erhielten als Bezahlung Kartoffeln oder andere Naturalien. Auch Menschen aus unserem Dorf machten sich auf, um zu hamstern. Zucker gab es unter anderem nicht, aber die Winzer bekamen ihn für die Herstellung ihres Weines. Also nahmen die Bauern vom Hunsrück landwirtschaftliche Produkte mit und tauschten sie an Mosel, Nahe und Rhein gegen Zucker ein. In Bingen stand einmal ein ganzer Eisenbahnwaggon voll Zucker auf dem Bahnhof, von dem einige Beller Leute auch ihr Teil abbekamen. Eine andere Tauschware sammelten die Bauern mühsam in der Natur. Im Herbst gingen die Menschen in die Buchenwälder, um die Früchte der Buchen, die Bucheckern, zu sammeln. Das war eine sehr mühsame Arbeit, die einzelnen Früchte unter dem Laub zu suchen und einzusammeln. Einige Familien entwickelten sich regelrecht zu Sammelexperten. Sie breiteten große Wagentücher unter den Bäumen aus, stiegen hinauf und schlugen die Früchte herunter. Von der Plane waren sie dann leicht aufzusammeln. Andere brachten handbetriebene Windmühlen mit, schaufelten alles, was auf dem Boden unter den Bäumen lag in den Trichter und hatten am Ende die reinen Bucheckern im Sack. Ein junges Paar aus Wohnroth soll sich mit Bucheckern das Schlafzimmer für den Ehestand verdient haben. In der Regel wurden Bucheckern gegen Öl oder Bezugsscheine für Margarine getauscht.
Der Hunger in den Städten war so groß, daß auch Diebstähle an der Tagesordnung waren. Ein Fall ist bekannt, wo ein fetter Hammel aus einem Stall gestohlen und geschlachtet wurde. Der Sohn einer Beller Familie, der im Saargebiet lebte, war zu Besuch und fragte einen Bauern, ob er nichts zu schlachten habe - gegen ein Stück Fleisch als Schlachterlohn, natürlich. Er schaute sich im Stall um. Der Bauer wollte aber nicht schlachten. Einige Tage später fehlte morgens der Hammel im Stall. Vermutet wurde sofort, daß der Mann, der sich eingehend nach dem Schlachten erkundigt hatte, das Tier gestohlen habe - aber beweisen konnte man nichts. Kurze Zeit darauf fand man das Fell des Tieres mit dem Halsband an den Bahnschienen. Durch einen Streit in der Familie kam es dann heraus, ein Familienmitglied plauderte aus, daß ihr Schwager - der Verdächtigte - tatsächlich den Hammel gestohlen und in der Nacht noch geschlachtet hatte. Der Bauer stellte den Vater des Diebes zur Rede. Dieser entschuldigte sich bei ihm für die Tat seines Sohnes. Einige Zeit später kam ein anonymer Brief - abgestempelt im Saargebiet - mit einer Entschuldigung und 200 Mark. Der Bauer glaubte, den Absender erkannt zu haben und brachte das Geld zu dem Vater, weil er damit nichts anfangen konnte, schon gar nicht einen neuen Hammel kaufen. Am nächsten Morgen war der Hammel des Vaters auf der Wiese des Bauern angebunden. Später kam die Familie auch mit dem Dieb aus Hungersnot wieder ins Reine.
Nicht einmal die Bauern konnten zu dieser Zeit über ihre Produkte frei verfügen. Die Tiere im Stall wurden regelmäßig gezählt und amtlich registriert. Getreide und Kartoffeln waren ebenfalls kontingentiert, und was darüberhinaus auf dem Speicher oder im Keller lagerte, mußte abgeliefert werden. Überall dort, wo so strikte Regeln aufgestellt werden, werden Schlupflöcher entdeckt, um hier und dort etwas auf die Seite zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist das „Schwarzschlachten“, das bei Strafe verboten war. Jeder machte es, aber keiner sagte es auch nur seinem Nachbarn. Trotzdem wußte jeder von jedem. Abends wurde ein Schwein oder ein Rind heimlich in der Scheune geschlachtet - bei verschlossenen Türen natürlich. Am wenigsten fiel es auf, wenn gleichzeitig auch ein Schwein offiziell geschlachtet wurde. So konnte alles gemeinsam verwurstet und eingepökelt werden. Leute, die etwas beobachtet hatten, witzelten schon mal - „eure Sau hat wohl zwei Köpfe gehabt!“ - Oder so ähnlich. Eine Gefahr, entdeckt zu werden, bedeutete der Besuch des Fleischbeschauers. Oft schlich er auf dem Gehöft herum, in der Hoffnung, etwas Unerlaubtes zu finden. Ein solch schwarzgeschlachtetes Tier wurde häufig an den Heuaufzug in der Scheune gehängt und damit hochgezogen und in die hinterste, von unten nicht einsehbare Ecke gefahren, bis es zerlegt wurde. Fremde Arbeitskräfte mußten natürlich auf ihre Verschwiegenheit eingeschworen werden. Schließlich kam ihnen ja auch eine Extraration Fleisch zugute.
Selbst mit der Währungsreform am 20. 6. 1948 war der Schwarzmarkt noch nicht zu Ende. In einigen Bereichen blühte er jetzt erst richtig auf. Es dauerte noch einige Jahre, bis alles wieder „normal“ war. Aber so wie vor dem Krieg wurde es nie wieder.