Zunächst kamen die Amerikaner als Besatzung wieder ins Dorf, und zwar vom 24. - 30. März 1945.
Der Strom war abgestellt, und zwar für 8 Wochen, bis in den Mai hinein. Das ganze Oberdorf hatte kein Wasser, weil die Pumpe auch außer Betrieb war. Für Menschen und Vieh mußte alles Wasser vom Brunnen geholt werden. Nur im Unterdorf floß das Wasser weiterhin durch die Leitungen wegen des natürlichen Gefälles.
Am Nachmittag des 24. März 1945 erhalten wir den Befehl, unser Haus zu räumen und mit uns fast alle Bewohner des Oberdorfes. Zwei Stunden Zeit bleiben uns. Wagners, unsere Flüchtlingsleute, laden all ihr Hab und Gut auf den Pferdewagen. Wir bringen alles, was noch eingepackt ist, Wäschesäcke und Lebensmittel, zum Nachbarn Müller auf dessen Schneiderstube. Aus dem Dorf kommen uns Verwandte und Freunde zu Hilfe. Viele Handwägelchen wurden eilig weggebracht, beladen mit Bettzeug, Lebensmitteln und Kleidung. Die zwei Stunden fliegen nur so dahin. Um 17 Uhr betreten etwa 15 Amerikaner das Haus durch die Vordertür, wir verlassen es zur gleichen Zeit durch die hintere. Mutter greift noch schnell in den Küchenschrank, nimmt Brot, Butter, Wurst und drei Tassen mit. Es ist Fütterzeit. Wir verziehen uns in die Scheune. Rindvieh und Schweine müssen gefüttert, die Kühe gemolken und das Kälbchen getränkt werden. Zunächst schleppen wir Wasser vom Dorfbrunnen heran. Die Ortsschelle ertönt, es wird bekanntgegeben: „Um 6 Uhr haben alle Deutschen die Höfe (und Straßen) zu verlassen!“ Das ist knapp für uns, die frischmelkende Kuh brüllt, ihr Kalb blökt. Vater verriegelt die Stall- und Scheunentüren von innen; wir arbeiten weiter, ohne laut zu sprechen. Mittlerweile ist es 18.30 Uhr geworden. Vom Fenster in der rückwärtigen Scheunenwand hält Vater vorsichtig Ausschau ins Gelände und entdeckt die rund ums Dorf aufgestellten Posten. Nun wagen wir nicht mehr, die Scheune durch den hinteren Ausgang zu verlassen. Im Zwielicht der Dämmerung sitzen wir im Stall auf Strohbündeln, trinken die frische Milch, essen unsere Brote. Am 11. und 12. März hatten wir fremde Flüchtlinge, Polen und Bulgaren, im Stall beherbergt und ihnen Milch und Brot gereicht. Meine Mutter sagt:
„ Nun sind wir an deren Stelle getreten.“
Ehe es vollends dunkel wird, klettern wir die Gerüstleiter hoch auf den Stall, wühlen uns ins Stroh ein und versuchen zu schlafen. Doch die Geräusche eines schweren Motors lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Als dann plötzlich ein heller Schein durch alle Ritzen der Scheune dringt, stellt mein Vater fest, das ist ein Generator, die Amerikaner erzeugen Strom.
Der Morgen naht, laut Bekanntmachung vom Vortag dürfen wir die Gehöfte nur morgens von 7 - 8 Uhr und abends von 5 - 6 Uhr betreten, um das Vieh zu versorgen. Also öffnen wir kurz nach 7 Uhr früh die Stalltür und gehen der Morgenarbeit nach. Im Hof steht die Feldküche, ein starker Kaffeeduft breitet sich aus. Durch einen Schlagbaum quer über die Straße ist das Oberdorf abgeriegelt. Mit den vollen Melkeimern begeben wir uns zu Hermanns Rosa, die uns aufnimmt. Bei den täglichen Fütterzeiten beobachten wir, was sich an der Feldküche so alles tut: Für die groben Arbeiten sind zwei Neger zuständig, die stets freundlich grüßen. Es sind die ersten dunkelhäutigen Menschen, die ich sehe. Leichtbeschädigte Apfelsinen landen auf unserem Misthaufen. Kübel voll Kaffeesatz werden ausgeschüttet. Mein Vater verständigt sich mit den Köchen, und so erhalten wir täglich einen halben Eimer voll Kaffeesatz. Den verteilen wir in der Nachbarschaft von Hermanns. Wenn auch zum zweitenmal aufgebrüht, so haben wir doch nach langen Jahren mal wieder den Geschmack von echtem Bohnenkaffee. Mit welchem Genuß schälen und verzehren wir die fleckigen Apfelsinen! Fast sechs Jahre gab es für uns keinerlei Südfrüchte. Auch gestempelte Fleischstückchen und gebrauchtes Fett sind uns für Rosas Familie sehr willkommen.
Ein amerikanischer Soldat hat offenbar einen psychischen Schaden erlitten. Er wird ständig von einem Posten begleitet und auch im Hause Karbach in ein Zimmer eingesperrt. Von einem Fenster des Schulhauses aus schießt er auf uns, als wir zum Füttern kommen. Die Kugel pfeift haarscharf an mir vorbei und schlägt in die Wand vom Nachbarhaus.
Es ist herrliches Frühlingswetter, der Hafer wird gesät. Herr Wagner, unser Flüchtling, bearbeitet mit seinem Pferdegespann unsere Felder. Vater erhält die Erlaubnis, die Saatfrucht vom Speicher zu holen. Dabei wird er von einem Posten mit Gewehr begleitet. Offensichtlich herrscht große Angst vor Sabotage, denn Häuser, die etwas abseits von der Straße liegen, sind nicht belegt.
Am Karfreitag, dem 30. März, rücken die Truppen ab. Am Ostersamstag beginnen wir morgens mit dem Hausputz, räumen einen Teil unserer Sachen ein und sind am Osterfest wieder in den eigenen vier Wänden.
Mein Fotoapparat, den ich gut versteckt wähnte, ist entdeckt und mitgenommen worden. Zurückgelassen haben sie eine große Dose Corned Beef, Zigaretten und Kaugummi. In den Reisigwellen im Hof versteckt finden wir eine Kiste mit Verpflegungspäckchen und einen Riegel Kernseife. Alles sehr willkommene Gaben. Wir können dankbar sein, denn es sind nicht, wie manchenorts, Schäden entstanden oder Ausschreitungen erfolgt.
Als die Front näher rückte, hatten wir manches „Verfängliche“ beseitigt, von der Hakenkreuzfahne das Emblem abgetrennt, Schriften und Zeitungen mit dem Hakenkreuzzeichen vernichtet. In Häusern, wo die Amerikaner etwa ein Uniformteil, ein Hitlerbild oder dergleichen fanden, wüteten sie regelrecht. Eine weitere Besetzung der Wohnhäuser erfolgte nun nicht mehr.
DORA REINHART
Am 8. Juli 1945 kam französische Besatzung mit etwa 30 Mann nach Bell. Sie besetzten die Schule und das Rathaus und blieben etwa 3 Wochen. Die Lebensweise und das Verhalten der Offiziere wurden von der Dorfbevölkerung kritisch beobachtet und weitgehend mißbilligt. Die einquartierten Offiziere feierten Orgien, an denen auch einige zu der Zeit in Bell lebende, fraternisierende Deutsche teilnahmen. Die Gelage erregten auch deshalb den Unmut der Einheimischen, weil sie die Lebensmittel dafür liefern mußten.
Die französischen Besatzer mußten - anders als die Amerikaner, die alles, was sie an Versorgungsgütern brauchten, mitgebracht hatten - von der deutschen Bevölkerung versorgt werden.
Franz Fey, der nach dem Krieg auf Vorschlag des Pfarrers vom Besatzungskommandanten zum Ortsvorsteher ernannt worden war, hat Papiere verwahrt, die belegen, was die Dorfbewohner alles abliefern mußten. Fast täglich kamen Schreiben vom Amtsbürgermeister/Besatzungsamt in Kastellaun mit Aufstellungen der Gegenstände, die bis zu einem bestimmten Datum (mit Angabe der Uhrzeit) in Kastellaun abzuliefern waren. In einem Schreiben vom 7.7.45 wird ausdrücklich erwähnt: „... Ehemalige Parteigenossen wollen hier ihre Opferbereitschaft besonders zeigen.“ Dem Ortsvorsteher oblag es dann, die Forderungen möglichst gerecht auf alle Familien im Dorf zu verteilen. Er mußte auch selbst zu den Leuten gehen und die Gegenstände einfordern, womit er sich viel Ärger einhandelte. Für das, was die Besatzungsmacht alles forderte, hier einige Beispiele: 20 Bettstellen, 30 Strohsäcke, 30 Bettlaken, 16 dreiteilige Matratzen, Federbetten, Wolldecken, Kissen, Bettbezüge, Handtücher, Tischdecken, Servietten, Teller, Schüsseln, Tassen, Gläser (spezifiziert nach Wein-, Bier- und Likörgläsern), doppelte Stores, Glühbirnen; aber auch Lebensmittel wie: Mehl, Eier, Hühner, Butter; Kleidungsstücke wie: Schuhe, Männerunterwäsche, Frauenunterwäsche, -kleider,
-jacken, Kinderkleider, -schuhe, -wolljacken, -unterwäsche, Rasierapparate, Rasierseife, Radios und Fotoapparate.
Das Schreiben des Amtsbürgermeisters vom 27.11. 1945 soll hier im Wortlaut wiedergegeben werden:
„Ihre Gemeinde hat sofort für die franz. Besatzungstruppen 1 Fahrrad zu liefern. Dasselbe ist innerhalb 2 Tagen am Rathause anzuliefern. Ich weise darauf hin, dass das Fahrrad fahrbereit sein muss und kein altes Ding angeliefert wird, andernfalls dasselbe zurückgegeben wird.“ Handschriftlich ist vom Ortsvorsteher auf dem gleichen Schreiben folgendes angemerkt: „Math. Bauer - wurde nicht angenommen, war zu schlecht. - F. Weißhaupt hat geliefert, nachdem das von Bauer nicht angenommen wurde.“
Die gravierendste Abgabe - weil mit verheerenden Folgen für den landwirtschaftlichen Betrieb verbunden - war ein Pferd. Franz Fey mußte sein Pferd, einen wertvollen Einspänner, abgeben. Es wurde zwar laut Schreiben von der franz. Militärregierung „angekauft“ - aber die evtl. dafür gezahlten Reichsmark waren nichts mehr wert. Ein neues Pferd war zu der Zeit nicht zu haben - für Geld schon gar nicht!
Die Militärregierung ordnete neben den Abgaben auch Arbeitseinsätze an. Im Schreiben vom 14. 8. 1945 heißt es: „Betr. Wachmannschaft. Im Nachgang zu meiner Verfügung vom 13. 8 45 teile ich nochmals mit, dass der Herr Ortskommandant erneut darauf hingewiesen hat, dass für die Bewachung der Telefonleitung nur Nationalsozialisten herangezogen werden dürfen. Er würde die Ortsbürgermeister, die diese Vorschrift nicht beachten, zur Verantwortung ziehen und schwer bestrafen. ...“ Am 24. Okt. 1944 wird noch einmal ein „Sonntagseinsatz der Parteigenossen“ angeordnet. „... Demzufolge ordne ich an, dass am kommenden Sonntag, dem 28. 10. Grundsätzlich an den Stellen gearbeitet wird, an denen am vergangenen Sonntag gearbeitet worden ist. Nur dann, wenn die angeordnete Beseitigung der Wehrmachtsautos usw. den Einsatz der Parteigenossen für diese Aufgabe unbedingt notwendig erscheinen läßt, können sie dazu herangezogen werden. ...“