Fahrendes Volk: Zigeuner - Schausteller - Bärenführer
Sie kamen früher oft ins Dorf. Für uns gehörte ihr Kommen und Gehen zu den besonderen Ereignissen. Die Zigeuner mit ihren Wohnwagen waren meistens auf dem Marktplatz. Es kam aber auch vor, daß sie zwei bis drei Tage im Bucher Weg beim Friedhof standen. Ihre dunkelhaarigen und dunkelhäutigen Kinder mit den schönen großen Augen und den bunten Kleidern besuchten manchmal für einige Tage unsere Schule. Sie brachten Heftchen mit, in dem der Lehrer den Schulbesuch quittierte. Wieviel Schultage solchen Kindern auferlegt waren, weiß ich nicht. Wir hatten ein ambivalentes Verhältnis zu diesen Kindern und diese Kinder wohl auch zu uns. Wir beneideten sie einerseits um ihre Freiheit und bedauerten sie andererseits wegen ihrer Heimatlosigkeit. Wären sie länger im Dorf geblieben, wären sie sicher auch Spielkameraden geworden. So hielten wir Abstand, auch weil man uns sagte, daß sie nicht ganz sauber seien. Zigeunermänner sahen wir selten im Dorf, die Zigeunerfrauen um so mehr. Diese bettelten oder wollten Spitzen und dergleichen verkaufen. Sie waren gefürchtet, weil sie sich darauf verstanden, Hühner zu fangen oder auch Wäsche von der Leine mitgehen zu lassen.
Einmal war ein Zirkus in Karbachs Hof. Es muß ein sehr armer Zirkus gewesen sein. Immerhin bestand er aus einer kleinen runden Arena mit Bänken ringsum. Ein Zeltdach war nicht darüber. Der Eintritt zur Vorstellung kostete für uns Kinder 50 Pfennige, das war viel Geld! Was der Zirkus bot, weiß ich nicht mehr. Nur an ein Äffchen erinnere ich mich. Es war vielleicht das erste, das ich in meinem Leben sah.
Einmal stand im Winter im Schnee ein Wohnwagen beim Transformator. Der Platz bot etwas Schutz vor Wind und Schnee. Im Wohnwagen war ein Kind mit seinen Eltern, und seitlich vom Wohnwagen war ein Braunbär angebunden. Ob sich die Leute von einer Truppe abgesetzt hatten oder eine Truppe erwarteten, wußten wir nicht. Der Bär war ihre Habe. Veranstaltungen mit ihm erfolgten nicht. Es war allerdings kalt, und der Bär hatte sicher auch Hunger. Unser Vater ging mit uns am Abend mit Brotresten und dergleichen zum Lagerplatz, um dem Tier etwas zu bringen. Wir hielten Abstand, denn ein wenig Angst hatten wir doch vor dem Bären.
Wenn Bärenführer mit Tanzbären ins Dorf kamen, liefen wir alle gucken. Wenn das Tamburin erklang, das meist von Frauen geschlagen wurde, tanzten die Bären. Damals meinten wir, sie tanzten vor Freude an der Musik. Erst später erfuhren wir, auf welch qualvolle Weise den Bären das Tanzen beigebracht worden war. Sie tun mir heute noch leid! Das Geld, das die Frauen im Tamburin nach dem Tanz sammelten, war sicher nicht so reichlich, daß Menschen und Bären gut davon leben konnten.