In der Zeit bis zum 2. Weltkrieg, als im Dorf die meisten Leute noch in Großfamilien lebten, gehörte das Sterben mit zum Leben dazu. Die weitaus meisten Menschen starben zu Hause im Kreis der Familie, und die Angehörigen waren dabei, wenn die Sterbenden den letzten Atemzug taten.
Auch für die Kinder in der Familie war der Tod nichts Furchterregendes und erzeugte keine besonders große Angst.
Der Gedanke an Tod und Sterben wurde nicht verdrängt, sondern ins Leben einbezogen. Schon früh im Leben wurde für den Todesfall vorgesorgt. Zur Aussteuer einer Frau oder eines Mannes gehörte das Totenhemd selbstverständlich dazu und wurde mit in die Ehe gebracht. Es war im Gegensatz zu den anderen Wäschestücken, auf die das Monogramm mit rotem Garn gestickt wurde, schwarz gezeichnet.
Wenn der Tod eingetreten war, wurde neben den amtlichen Stellen die Nachbarschaft unterrichtet. Der Mann des Hauses ging „hääse“. Er trug zu diesem Anlaß seinen Gehrock. Sah man an Werktagen einen Mann im schwarzen Anzug durchs Dorf gehen, so wußte man, daß jemand gestorben war. Auch beim Gang zum Pfarrer trug der Mann den Gehrock.
Die Nachbarsfrauen halfen dabei, den Toten herzurichten, zu waschen und anzukleiden. Den Männern wurde über ihr Totenhemd der schwarze Anzug - der Gehrock angezogen, sofern sie schon einen besaßen. In der Regel ließ sich ein Mann zu seiner Hochzeit einen Gehrock schneidern. Den Frauen zog man ihr bestes schwarzes Kleid an.
Der Sarg wurde von den Schreinern des Dorfes, dem Walter Jakob oder Bouersch Peter, in Handarbeit hergestellt. Wenn jemand im Dorf unheilbar krank und der Tod nahe war, fingen sie schon mal an, die „Laad“ zu zimmern. Der Schreiner und seine Gehilfen sargten auch die Toten ein.
Eine Leichenhalle gab es nicht, und so wurden die Toten in ihren Häusern aufgebahrt. In vielen Häusern stand der Sarg bis zur Beerdigung nach drei Tagen in der Wohnstube, wenn es keine „Näwestuh“ oder einen anderen unbenutzten Raum gab.
An den Abenden bis zur Beerdigung kamen Verwandte und Freunde aus dem Dorf sowie die Nachbarn, meistens die Frauen, zum Totengebet und zum Abschiednehmen. Dabei wurde der Sargdeckel geöffnet, oder es war eine Öffnung mit einem Schiebedeckel im Sargdeckel eingelassen, durch die man nur den Kopf der Toten sehen konnte. Ein Familienmitglied las Gesangbuch- und Bibelverse vor, zusammen betete man das Vaterunser.
In den Nächten, in denen die Toten auf dem „Schaab“ lagen, brannten Kerzen neben der „Laad“ und die Nachbarn wechselten sich in der Totenwache ab. In manchen Häusern war es Sitte, den Spiegel, der im Wohnzimmer seinen Platz hatte, während dieser Zeit zu verhüllen.
Das ganze Dorf nahm Anteil am Tod, und die Leute bekundeten ihre Mit-Trauer. Aus jedem Haus brachten die Leute Milch oder Eier (in der Regel einen Steintopf voll Milch oder 3 - 4 Eier) für den Kuchen zum Grabims. Auch wenn man als Kind geschickt wurde, Eier oder Milch ins Sterbehaus zu tragen, wurde man von den Angehörigen gefragt, ob man den oder die Verstorbene noch einmal sehen wolle. Entweder man traute sich nicht, nein zu sagen, oder man hatte keine Scheu davor, fremde Tote, zu denen man vielleicht im Leben überhaupt keine Beziehung hatte, zu sehen. So wurde man dann zum Sarg geführt und schaute entweder durchs Guckfenster im Sargdeckel oder in den geöffneten Sarg. Beim Tod einer Mitschülerin aus dem Dorf, die im Alter von etwa 10 Jahren gestorben war, mußten die Kinder fürchterlich weinen, als sie sie in ihrem weißen Sarg liegen sahen. Es war sehr schmerzlich, von einem etwa gleichaltrigen Menschen endgültig Abschied nehmen zu müssen.
Je nach Jahreszeit waren die drei Tage auf dem „Schaab“ kritisch. In heißen Sommern stellte man Wannen mit kaltem Wasser unter den Sarg, oder legte frische Tannenreiser darunter, um den Leichengeruch zu vertreiben. Im Haus mußten ja auch während dieser Zeit die Vorbereitungen für die Beerdigung und das Grabims getroffen werden. Am Tag vorher wurde der Kuchen gebacken - erst nur Kranzkuchen, später Kranz und Streuselkuchen. Wegen der Menge der Kuchen - oft waren über 50 Trauergäste geladen - wurde der Dorfbäcker (Lehnerts Adam) ins Haus geholt zum Backen. Er übernahm die ganze Arbeit, einschließlich der im Backes.
Das Grab wurde vom Totengräber (Lehnerts Peerer, Bruder des Bäckers) ausgehoben und später zugeschaufelt. Als Sargträger wurden die zweiten Nachbarn bestellt, d.h. die ersten 6 - drei nach jeder Seite - waren als nächste Nachbarn „gehääs“, also eingeladen. Und die drei weiteren nach jeder Seite stellten die Sargträger.
Frauen aus der engeren oder weiteren Nachbarschaft - in der Regel 3 - wurden zum Kaffeekochen, Tischdecken usw. bestellt.
Am Beerdigungstag - die Beerdigung fand meistens um 11 Uhr statt - wurde der Sarg von den Trägern auf 2 schwarze Schemel, die in der Kirche aufbewahrt wurden, vor die Haustür auf den Hof gestellt. Bevor die Sargträger ins Trauerhaus gingen, um den Sarg herauszutragen, kam ein Familienmitglied mit einem „Viertelchen Branntwein“ und einem Glas heraus und goß jedem Träger zunächst ein Schnäpschen ein.
Zum Zeichen, daß es Zeit war, ans Trauerhaus zu gehen, wurde „gezinkt“. Die kleine Glocke wurde kurz so geläutet, daß nur wenige Einzelschläge ertönten.
Die Sargträger und die Männer unter den Trauergästen trugen Gehrock und Zylinder, die Frauen ihr schwarzes „Naachtmohlskläd“.
Die Schulkinder, die an Beerdigungstagen schon besser gekleidet zur Schule gingen, kamen mit dem Lehrer zum Haus und sangen dort bei der Aussegnungsfeier. War die Beerdigung im Unterdorf, dann holte der Lehrer mit den Schülern den Pfarrer am Pfarrhaus ab. Bei Beerdigungen im Oberdorf kam der Pfarrer am Schulhaus vorbei.
In jedem Fall gingen Pfarrer und Lehrer mit den Schulkindern gemeinsam zum Trauerhaus.
Beim Trauerzug zum Friedhof gingen die Kinder an der Spitze vor dem Pfarrer, der unmittelbar vor dem Sarg ging.
Unmittelbar hinter dem Sarg gingen die Angehörigen und Verwandte - allerdings nur die Männer! Ihnen folgten alle Männer aus dem Dorf. Erst dahinter hatten die Frauen aus der Trauerfamilie und die verwandten Frauen ihren Platz, anschließend die Frauen aus dem Dorf. Selbst wenn es keine männlichen Angehörigen oder nahe Verwandte gab, folgten die angehörigen Frauen hinter den Dorfmännern, so daß unmittelbar hinter dem Sarg fremde Männer gingen.
Die Kinder trugen die Kränze und Sträuße, die sich allerdings sehr bescheiden ausnahmen gegenüber der heutigen Blumenpracht. Auch auf dem ganzen Weg zum Friedhof wurde gesungen. Der Lehrer stimmte mit den Kindern ein Lied an, und die Menschen im Leichenzug stimmten mit ein. Eine Ausnahme bildeten die „Trouerläit“ - sie sangen als einzige nicht mit - auch nicht in der Kirche. Wahrscheinlich war es unschicklich. Die Trouerläit brachten auch überhaupt kein Gesangbuch mit zum Beerdigungsgottesdienst.
Für die Kinder war der Weg recht beschwerlich. Sie zogen mit Kränzen beladen singend die steile Dorfstraße hinauf. Während des 3. Reiches wurde das Grabsingen der Schulkinder staatlicherseits verboten. Die Frauenhilfe übernahm in der Zeit diesen Dienst.
Bei Beerdigungen aus dem Unterdorf und vom Rech wurde am Brunnen eine Pause gemacht, wobei der Sarg abgestellt wurde.
Bei den Beerdigungen aus Hundheim und Wohnroth wurde der Sarg mit einem Pferdefuhrwerk bis vor die Wirtschaft Karbach gebracht und vor der Kirchentreppe auf die Schemel gestellt. Dort wurde dann die Feier, die für die Beller am Haus stattfand, gehalten - ebenfalls mit dem Gesang der Schulkinder.
Für das Grabsingen bezahlten die Trauerfamilien einen Betrag, der am Tag vor dem Beller Markt vom Lehrer an die Kinder verteilt wurde.
Danach fand die Beerdigung auf dem Friedhof statt, auch wieder mit dem Gesang der Schulkinder, und anschließend ging man zum Trauergottesdienst in die Kirche. Auch hier gab es eine besondere Sitzordnung:
Die Männer (Angehörige und geladene Trauergäste) saßen im „Trouerstuhl“, der Bank vor der Presbyterbank rechts unter der Kanzel. Die übrigen Männer saßen auf der Empore. Die Frauen der Trouerläit saßen in den ersten Bänken im Kirchenschiff links oder auch rechts. Dahinter saßen die Frauen aus dem Dorf.
Während der Beerdigung deckten die Kochfrauen die Tische. Zuerst mußten sie, nachdem der Sarg aus dem Haus getragen war, gründlich lüften und putzen. Denn das Grabims wurde in der Wohnstube gehalten, in der der Tote aufgebahrt war. Wenn es eine sehr große Beerdigung war, wurden auch in den Nachbarhäusern noch Tische für das Grabims hergerichtet, und einige Gäste wurden dort untergebracht, weil die eine Wohnstube nicht alle faßte. Es war nicht üblich, das Ims im Gasthaus zu halten, und Gemeindehäuser gab es noch nicht.
Das Grabims unterschied sich nicht wesentlich von dem heute, nur daß keine Schnittchen oder andere Getränke außer Kaffee angeboten wurden. Es lief auf eine Art „Maij“ hinaus, wo die Unterhaltungen zunächst um den Toten und die Beziehung zu ihm oder ihr kreisten und später auf allgemeine Themen des Dorfgeschehens übergingen. Man saß je nach Jahreszeit und anstehender Arbeit länger oder kürzer beim Grabims zusammen.
Auf jeden Fall bekamen die Trauergäste beim Aufbruch noch ein Kuchenpaket für die Familie mit.
Im Anschluß an das Grabims bekamen die Alten und Kranken im Dorf auch einen Teller voll Beerdigungskuchen und die Kranken zusätzlich ein Kännchen Bohnenkaffee. Damit machte man den Kranken eine besondere Freude, weil Kaffee eine Besonderheit war, die man sich nur an Feiertagen leistete.
Die katholischen Beller wurden bis etwa 1970 nach Kastellaun beerdigt. Wenn sich der Leichenzug vom Trauerhaus aus in Bewegung setzte, wurde die Gemeindeglocke, das Rathausglöckchen geläutet, bis er aus dem Dorf hinaus war. Eine Ausnahme bildete die Familie Braun (auf dem Rech). Sie bekamen mit den Kirchenglocken geläutet . Dieses Geläut hatte die Evangelische Kirchengemeinde aus Dankbarkeit beschlossen, weil ein Mitglied der Familie Braun eine Glocke, die von den Franzosen in der Franzosenzeit (napoleonische Zeit) geraubt worden war, wieder zurückholte.
Bis zu der Zeit, als im Dorf die Straßen neue Namen erhielten und die Nachbarschaft neu geregelt wurde, zählten die katholischen Familien nicht zu den 6 nächsten oder weiteren Nachbarn und wurden bei den Aufgaben wie Sargtragen übergangen. Allerdings wurden sie immer wie die andern Nachbarn - und zwar zusätzlich - geladen.
Selbstmörder wurden früher sogar auf einem eigenen Platz auf dem Friedhof getrennt von den übrigen Toten beerdigt. Für sie gab es eine Ecke weitab von den übrigen Gräberfeldern, und zwar dort, wo heute die Leichenhalle steht, hinter Karbachs Scheune. Diese Beerdigungen wurden nicht vom Pfarrer im Talar in der üblichen Beerdigungsordnung gehalten. Das war in der damaligen Kirchenordnung so vorgesehen. Allenfalls ging der Pfarrer im schwarzen Anzug mit zum Grab und sprach ein Gebet. Gesungen wurde ebenfalls nicht. Wie muß den Angehörigen dabei wohl zumute gewesen sein. Sie hatten nicht nur den tragischen Tod eines Familienmitgliedes zu verkraften, sondern auch die diskriminierende Behandlung bei der Beerdigung.
Der Platz für die Selbstmörder galt wohl als „gottverlassener“ Ort. Eine junge Frau, die an Heinze- Davids einheiratete, wurde gefragt, ob sie denn nicht „groule“ (sich fürchte), wenn sie nun in Zukunft immer an diesem Platz vorbei müsse, wenn sie morgens und abends in den Stall zum Melken ginge.
Ansonsten war der Friedhof kein Ort zum Fürchten. Schon die Kinder gingen oft und nicht ungern dorthin, um die Gräber der eigenen Familie und die Fremder aus anderen Dörfern zu gießen.
Kinder waren ganz besonders fasziniert von einem wunderschönen großen, weißen (Marmor?)- Engel auf einem Grabstein aus Hasselbach. Man ging oft durch die Reihen und schaute, wo die schönsten Engel waren. Die meisten Grabsteine waren schlicht und einfach, aus Holz, oft schon sehr verwittert. Die Kindergräber interessierten besonders, weil um jedes kleine Grab ein Zaun aufgestellt war, aus weißgestrichenen Holzlatten oder aus Eisen mit scharfen Spitzen an den Stäben. Die Gräber wirkten wie kleine Gärtchen. Kinder konnten sich zunächst nicht erklären, wieso die Gräber mit Zäunen eingefriedet waren. Die Erklärung war ganz einfach - sie sollten die Hühner, die vom Friedhof nicht fernzuhalten waren, daran hindern, auf den Gräbern die Blumen auszuscharren.