Der Beller Markt 1934
Der Markttag war für die Beller Kinder schulfrei. Am Tag vorher zahlte der Lehrer den Kindern das Geld fürs Grabsingen aus. Wir Schulkinder sangen ja bei jeder Beerdigung am Haus und am Grab, auch bei Beerdigungen aus Wohnroth und Hundheim.
Die Ortsgemeinde zahlte „dat Muldergeld“ aus. Alle Jungen, die im Laufe des Jahres Maulwürfe gefangen hatten, erhielten pro Stück 20 Pfennig.
Für uns Kinder gab es bereits am Vortag einiges zu bestaunen. Wir eilten zum Marktplatz und schauten zu, wie das große Festzelt errichtet wurde. Etwas abseits standen mehrere Zigeunerwagen. Neugierig näherten wir uns den schwarzhaarigen Kindern, die im Umkreis der Wagen spielten.
Ein Kettenkarussel und einige Verkaufsbuden wurden aufgebaut. Der „ Lukas“ überragte alles. Alljährlich fand sich ein älterer Mann namens Winter mit seinem Glücksspieltisch ein und seine Tochter Anna mit ihrem Spiel- und Süßwarenstand. Sie bot Wundertüten zu 10 Pfennig an.
Am Vorabend versammelte sich die Dorfjugend auf dem Rathaus, um die Kirmessträuße zu schmücken, denn der Marktnachmittag und -abend waren der Geselligkeit und dem Vergnügen vorbehalten. Zwei Wacholderbuschen, die die Straußträger von weit her geholt hatten - weil es in der Beller Gemarkung keinen Wacholder gab, wurden dicht mit bunten Bändern behangen. Einer davon war für den Festzug bestimmt, ihn schmückte man zusätzlich mit Ketten von ausgeblasenen Eiern. Der zweite zierte die Gastwirtschaft, die in dem betreffenden Jahr das Festzelt stellte. Darin wechselten sich die beiden Gastwirte ab.
Am Markttag früh morgens erwachte ich vom Getrappel und Gebrüll des Rindviehs, das durchs Dorf zum Marktplatz getrieben wurde. Stundenlang bewegte sich ein Zug von Ochsen, Kühen und Rindern über die Dorfstraße. Zwischendurch einzelne Pferdefuhrwerke, beladen mit Ferkelkästen, und immer wieder kleine Gruppen von Marktgängern. Die Männer trugen dabei genagelte Schuhe, hatten „de Maartjubbe“ an und in der Hand Peitsche oder Marktstock.
In einem Jahr waren über 2000 Tiere aufgetrieben. Die Viehhändler kamen von weit her, sogar aus Ostpreußen.
Auf dem Beller Bahnhof, der eine Verladerampe hatte, wurde das Vieh verladen, rollten die Güterzüge an und ab.
Auch mein Vater führte ein Paar junger Ochsen auf den Markt. Sie waren seit dem Frühjahr als Zugtiere angelernt
Mutter und Großmutter waren in der Küche tätig, sie bereiteten das Festessen vor. In jedem Haus im ganzen Dorf wurde das gleiche gekocht, nämlich das „Hunsrücker Nationalgericht“:
Rindfleischbrühsuppe
Rindfleisch und geräuchertes Schweinefleisch (aus der
Hausschlachtung)
Sauerkraut
Weiße Bohnen
Meerrettich.
Denn der Beller Markt war auch gleichzeitig ein Familientreffen, zu dem sich die Verwandten von fern und nah einfanden. Um die Mittagszeit war der Viehmarkt zu Ende. Wieder wurde das Vieh durchs Dorf geführt auf dem Weg zum heimatlichen Stall - entweder von den neuen oder auch den alten Besitzern.
Mit unsern Gästen saßen wir zu Tisch, und alle ließen sich das Hunsrücker Festessen schmecken. Oft mußte man auf die Männer noch länger warten, weil sie sich nicht vom Markt trennen konnten. Neuigkeiten vom Markt wurden ausgetauscht, von guten oder weniger guten Viehhändeln berichtet. Man „maijte“ miteinander.
Um 2 Uhr fand sich die Dorfjugend vor der Gastwirtschaft ein und formierte sich zum Festzug, angeführt von einer Blaskapelle. Wenn Gastwirt Karbach das Festzelt stellte, so waren es die „Weißkappen“, Musikanten aus der Pfalz. Am Kriegerdenkmal vor dem Rathaus machte der Zug halt, zum Gedenken an die Gefallenen des ersten Weltkriegs. Die Bläser spielten das Lied „vom guten Kameraden“ (Ich hat einen Kameraden ...).
Dann ging es unter Klängen flotter Marschmusik weiter. Der älteste Junge des Musterungsjahrgangs trug den Kirmesstrauß. Er ging mit 2 „Adjutanten“ aus dem gleichen Jahrgang direkt hinter der Kapelle an der Spitze des Zuges. Seine Aufgabe war es, den Strauß so kräftig zu schwenken, daß an einer bestimmten Stelle im Dorf (an Buhle - jetziges Bürgerhaus) alle Eierschalen abgefallen waren. Dort hielt man inne, und die Jungens begutachteten den Strauß, ob etwa noch Eierschalen dran hingen. Auf dem Marktplatz angekommen, wurde der Strauß im Tanzzelt aufgesteckt.
Zu Hause tranken wir frühzeitig Kaffe und gingen dann gemeinsam zum Markt. Schon von weitem hörten wir die Tanzmusik und auch den Knall des „Lukas“. Vom Vieh war nicht mehr viel zu sehen. Hier und da waren noch einzelne Tiere an den Bäumen oder Spannketten angebunden, während ihre Besitzer in den Zelten das „Wink-uff-trinke“ ausdehnten. Nach jedem getätigten Viehhandel tranken Käufer und Verkäufer den „Wink-uff“. Gute Viehhändler - auch „Kutzeler“ genannt, hatten gleich mehrere Händel zu begießen. Es wurde berichtet, daß „Schwickerts Josef“ an einem Markttag fünf Paar Rinder gekauft und wieder verkauft hatte - mit sehr geringem Gewinn!
Rechts der Marktstraße befand sich auf einem eingefriedeten Platz die Fahrradaufbewahrung. Dort standen Hunderte von Fahrrädern.
Eltern und Kinder drängten sich an den Spielwarenständen, am Kettenkarussell und an der Schiffschaukel. Süßigkeiten, Obst, Alpenbrot und Eis wurden angeboten. Bei einem Schnellfotografen konnte man sich „abnemme losse“. Ein Drehorgelspieler entlockte seinem Instrument rührselige Weisen und hielt den Hut auf. Auf der Erde saß ein blinder Bettler und bat um milde Gaben. In weitem Kreis standen die Zuschauer um den Bärenführer mit seinem braunen Tanzbären. Zu den Klängen des Tamburins richtete sich das große Tier auf und wiegte und drehte sich im Tanzschritt.
Als Besonderheit gab es eine Tierschau. In fahrbaren Käfigen konnte man Affen, Papageien und Meerschweinchen bewundern. Ein Äffchen hielt die Sammelbüchse. In großen Lettern mahnte der Spruch: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“.
Wir trafen Bekannte, plauderten, begrüßten Freunde und nahmen schließlich im großen Zelt Platz. Auf dem Tanzboden drehten sich die Paare zu den Walzer- und Tangomelodien. Auch „Rheinländer“ und „Schieber“ wurden getanzt. Zu schnell verflogen ein paar gemütliche Stunden.
Gegen Abend, zur Fütterzeit, waren wir wieder zu Hause. Auch zum Abendessen hatten wir Gäste.
Im Zelt wurde eine Pause eingelegt, und viele Jugendliche wanderten ins Dorf zu ihren Verwandten, Bekannten und Freunden. So saß man dann nochmals in größerer Runde am Tisch. Auch das Abendessen war überall gleich: Schweinebraten, Kartoffeln mit Soße, Kopfsalat.
Fast in jedem Jahr kam es abends zu vorgerückter Stunde auf dem Marktplatz zu Streitigkeiten, die öfters auch in Schlägereien ausarteten.
Am nächsten Tag, dem Donnerstag, fand abends nochmals Tanz im Festzelt statt.
Nachtrag
Ganz früher, zu Zeiten unserer Großeltern, nahmen die Beller die Verpflegung für sich selbst und ihre Gäste mit auf den Markt. In einen blaugewürfelten Kopfkissenbezug packte die Hausfrau den Schwartemagen und den selbstgebackenen „Platz“. Man traf sich dann mit den Verwandten und Freunden in einem der Wirtszelte zur Mittagszeit , verzehrte das Mitgebrachte und „maijte“. Damals war der Markt bei Einbruch der Dunkelheit beendet, weil es kein Licht in den Zelten gab.
DORA REINHART